Tücher hauchen der Klostermauer leben ein

Am 19. September 2015 eröffnete der Künstler Jan Kaeser die Ausstellung der Kunsthallen Toggenburg in Wattwil im Rahmen der arthur#10 und dies obwohl es zu seiner Vernissage noch gar keine Kunst gab. „Das war ein Moment, den ich genossen habe“, erzählt Jan Kaeser und schmunzelt. Nach der Eröffnungsfeier in Wattwil hängte Jan Kaeser die ersten acht weissen Tücher seiner Installation „Bewegen“ an die Mauer des ehemaligen Klosters St. Maria der Engel, das hoch über Wattwil thront und jetzt durch die Fazenda da Esperança bewohnt wird. Das weisse Mauerband ist weitherum sichtbar. Das Publikum konnte das Geschehen vom Bräkerplatz und Altersheim Risi durch ein Fernrohr beobachten. Seither ist dank der Tücher ein Mauerabschnitt nach dem andern merklich weisser geworden. Es ist die Annäherung an einen Zustand, der im Frühling eintreten wird. Dann wird die verwitterte Mauer restauriert; ihre Risse werden verputzt und sie wird frisch geweisselt. Am vergangenen Dienstag, 3. November 2015, brachte Jan Kaeser die letzten zehn Tücher an, nachdem er die vergangenen zwei Monate Woche für Woche nach Wattwil gefahren war, um sie etappenweise etwa zehn Stück pro Mal, an der über hundert Meter langen Mauer zu befestigen: „Wie ein zeitlich organisierter Windhauch“, sagt der Künstler.

Tücher, nicht Fahnen

Die flatternden Tücher haben etwas fröhlich Beschwingtes. Man mag sie als Fahnen sehen, Jan Kaeser nennt sie neutral Tücher: „Fahnen sind Botschaftsträger und symbolisch aufgeladen. Das wollte ich nicht.“ Weiss sind sie wie ein leeres Blatt Papier – die Tücher dienen als Projektionsfläche. Sie bringen Gedanken und auch die starre Mauer in Bewegung und vermitteln, dass nichts ewig währt. Das Alltägliche wird leicht verrückt und kann so mit anderen Augen gesehen werden: „Mein Interesse liegt in der Wahrnehmung“, so der Künstler. Bis Januar 2016 bleiben die Tücher hängen. Danach wird Jan Kaeser sie wieder Woche für Woche abschnittweise abnehmen: „Auf den Schnee freut es mich.“ Im März wird die Mauer wieder nackt dastehen, bereit für eine Auffrischung. Am Samstag, 7. November 2015, wurde das Kunstwerk mit dem Künstler begangen. Interessierte konnten die Tücher aus der Nähe bestaunen. Im anschliessenden Gespräch erzählte Jan Kaeser über das Werk. Gesprächspartnerin war Corinne Schatz, Präsidentin der St.Gallischen Kulturstiftung im Refektorium, dem Essraum des Klosters. Mauern in Bewegung, gerät so auch das von der Mauer Verborgene in Bewegung, fragte Corinne Schatz, die damit die bewegte Geschichte der ehemaligen Kapuzinerinnen in Erinnerung rief. „Es sieht so aus“, meinte Kaeser, „denn eben erst war das Kloster noch von Klosterfrauen besetzt, die keine grossen Einblicke in ihr Leben zuliessen, und jetzt sind die neuen Bewohner der Fazenda da, die sich öffnen wollen.“

 

Gefragte Klosterführung

Dass Kaeser nicht ganz unrecht hatte, davon zeugte die Zusammenarbeit der Fazenda als Mieterin des Klosters mit dem Verein Kunsthallen Toggenburg, der Jan Kaesers Wert im Rahmen von arthur#10 überhaupt erst ermöglichte. Nach dem Kaffee und Kuchen im Refektorium wurde eine Führung durch das Kloster angeboten, die dann auch rege in Anspruch genommen wurde.